Dienstag, 25. Oktober 2011

Hast Du nicht gelebt?


Was sind wir doch für Narren! »Er hat sein Leben im Müßiggang verbracht«, sagen wir, oder: »Ich habe heute nichts getan.« Wie - hast du nicht gelebt? Das aber ist nicht nur die wesentlichste, sondern auch die lobenswerteste deiner Tätigkeiten. 
Oder: »Wäre ich mit großen Aufgaben betraut worden, hätte ich zeigen können, was ich zu vollbringen weiß.«  Wußtest du dein Leben recht zu bedenken und in die Hand zu nehmen? Dann hast du die größte aller Aufgaben vollbracht!

Um ihre Kräfte zu zeigen und zu entfalten, bedarf die Natur keines bedeutenden Menschenschicksals; sie kann es in allen gesellschaftlichen Schichten tun, mit oder ohne Vorhang. Einen sittlichen Wandel, nicht Bücher zuwege zu bringen ist uns aufgegeben; und nicht Schlachten und Provinzen zu gewinnen, sondern Ruhe und Ordnung in unserm täglichen Verhalten: Recht zu leben - das sollte unser großes und leuchtendes Meisterwerk sein! Alle anderen Dinge wie Herrschen, Horten und Häuserbauen sind höchstenfalls Anhängsel und Beiwerk.

Montaigne, Essais III/13

Blamagen


Für mich stehen die langfristigen Verlierer der gegenwärtigen Finanz- bzw. Euro-Kriste fest: Es sind die Medien, als deren  ultimative Verwirklichung ja die Rating-Agenturen anzusehen sind. Ab dem Zeitpunkt, wo Prophezeiungen unmittelbar die Realität verändern, sind sie sinnlos geworden. Die Glaubwürdigkeit ist ohnedies schon dahin, was ich als langjähriger, begeisterter Konsument von (Print-)Medien sehr bedauere.
Ohne die Medien, die auf jeden Furz der Rating-Agenturen lauern, um ihn dann - mehrtausendfach verstärkt - in die Welt blasen, wäre diese ja ziemlich bedeutungslos.

Dazu 2 Zitate aus Gegenwart und Vergangenheit:

"Gerade dort, wo am meisten Geld und Mühe aufgewendet werden, häufen sich die Blamagen. Besonders anfällig sind die Finanzmärkte. In ein und derselben Ausgabe einer Wirtschaftszeitung sind Ratschläge, Empfehlungen und Warnungen zu lesen, die einander diametral widersprechen.  Die durchschnittliche Trefferquote der Experten kommt der eines Zufallsgenerators nahe. Das wiederum kann kein Zufall sein; es liegt in der Natur der Sache. Systeme wie die globalisierte Wirtschaft, die einen gewissen Grad von Komplexität überschreiten, sind einfach nicht mehr berechenbar. Wundern kann man sich höchstens über das Selbstbewusstsein der sogenannten Analysten, die Tag für Tag ihren nächsten Irrtum verkünden, ohne je an ihrer Unfehlbarkeit zu zweifeln."
Hans Magnus Enzensberger im SPIEGEL vom Oktober 2011

"Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahre binden lassen, es ist unbeschreiblich, was für eine Lektüre dieses ist: 50 Teile falsche Hoffnung, 47 Teile falsche Prophezeiung und 3 Teile Wahrheit. Diese Lektüre hat bei mir die Zeitungen von diesem Jahr sehr herabgesetzt, denn ich denke: was diese sind, das waren jene auch." 
Georg Christoph Lichtenberg, im Jahre 1764 (als es noch keinen „Boulevard“ gab)

Freitag, 21. Oktober 2011

Nur der Neid?


Götz Aly hat wieder ein Buch geschrieben, in dem er - verkürzt ausgedrückt - den Neid als Ursache  des Holocaust "dingfest macht".* Das mag wohl auch stimmen, ist mir aber zu einfach. Menschliche Triebfedern bestehen fast immer aus einem Emotions-Bündel. In diesem Fall war wohl auch Angst im Spiel und etwas, worüber heutzutage sicher niemand ein Buch schreiben wird: Ärger über die Penetranz des Auftretens mancher jüdischer Kreise - heute wie damals: 

 "Die Juden können froh sein, daß ein Lump und ein Verrückter, Ahlwardt und Paasch**, den Antisemitismus in die Hand genom­men haben, die eigentlichen antisemitischen Prediger sind sie selbst. Die Phrase vom »unterdrückten Volk« existiert immer noch; dabei lassen sie aber alle Welt nach ihrer Pfeife tanzen und selbst die Kaftan Juden mit der Hängelocke, die hier Weg und Steg unsicher machen, tragen etwas von Trotz und Übermut zur Schau. Sie sind auch berechtigt dazu."
(Th. Fontane in einem Brief aus Karlsbad 1893 an seine Tochter Martha)

Alle gutgemeinten Versuche, schreckliche rassistische Verbrechen allein aus der bösartigen Trieben der Täter zu erklären, gehen m. E. fehl. Ein anderes Beispiel: Kürzlich war ich wieder in Bratislava, wo ich mich gerne auf dem Obst- und Gemüsemarkt nächst Ruzinov herumtreibe. Dort sieht man auch immer viele Zigeuner - pardon: Romas, oder heisst es Roms? Und man kann es nicht anders ausdrücken: Sie fallen unangenehm auf, im Aussehen und im Benehmen. Alle die überaus notwendigen Versuche, ihre Situation zu bessern, sind so lange zum Scheitern verurteilt, als man gewisse Eigenarten einfach wegblendet. Man löst kein Henne-Ei-Problem, indem man einen Teil davon einfach wegläßt.
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* Götz Aly: "Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass".

**zwei besonders fanatische Antisemiten im Belin des ausgehenden 19. Jh.

Menschheitsbeglücker

"Es gibt nichts Schrecklicheres als die Menschheitsbeglücker par force, die gewaltsam heilen, helfen oder gar selig machen wollen".

Th. Fontane, "Onkel Dodo"


"Blindwütige Menschenfreunde" heißt das bei A. Camus.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Nichts Neues unter der griechischen Sonne ...


http://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Finanzkontrolle_in_Griechenland_1898%E2%80%931978


Falsche Propheten


Die Wirtschafts-Berichterstattung vieler Journale kann sich gar nicht genug in Pessimismus suhlen und ist in keiner Weise objektiv, sondern permanent negativ gefärbt - man fragt sich nur, zu welchem Zweck oder wem  zu Diensten?  Und jetzt docken sie offensichtlich zur Gänze an die Rating-Agenturen an. Ich kann ja das Naheverhältnis verstehen, es sind ja praktisch Kollegen und wann gab es das schon einmal, daß Journalisten und „Experten“ die Politiker am Nasenring vorführen durften.

Aber ganz ehrlich, wenn ich die Wahl habe, vertraue  ich immer noch lieber den Politikern, denn die haben wenigstens eine demokratische Legitimation, auch wenn sie diese oft schändlich mißbrauchen. Allerdings glaube ich, daß die Zeit nicht mehr ferne ist, wo die Rating-Agenturen samt Nachbetern gewaltig an Bedeutung verlieren werden , weil sie niemand mehr ernst nimmt; Übertreibung schwächt immer die eigene Position.

Aber es kann natürlich auch sein, daß die Schreiberlinge einfach Pessimismus mit Seriosität verwechseln. Jeder Kommentator ist ja mit Panikmache  auf der sicheren Seite: Kommt es besser als vorhergesagt, so freut sich jeder und ist dem falschen Propheten nicht gram darob. Und kommt doch die Katastrophe, dann hat man es ja schon immer gesagt.

Ernüchternd oder ermutigend – je nachdem – ist freilich die Tatsache, daß sich die selbsternannten Zukunftseher über den Weg in den Untergang bzw. zu seiner Vermeidung durchaus uneinig sind. Sie wollen uns weis machen, sie hätten den Durchblick - nur halt jeder einen anderen!

Freitag, 14. Oktober 2011

Lohnschreiber

Ich möchte heute kein Journalist sein. Nur ganz wenigen gelingt es, sich vom Lohnschreibertum zu lösen. Nur zu deutlich merkt man, daß Zeitungen Besitzer haben oder von politischen Freundeskreisen gesteuert werden. Wem sonst dient der Wettlauf um die bad, worse, worst news bei Wirtschaftsthemen? Ich glaube ja nicht, daß alle Journalisten depressiv sind. Und so groß ist der Anteil der Börsenzocker unter den Lesern selbst bei WZ, Presse, Standard wieder auch nicht.


Die Wiener Zeitung macht Boulevard ohne Farborgien und Riesenlettern, zumindest im Wirtschaftsteil. Kein Wunder, kommt doch der Chefredakteur aus der Wirtschafsredaktion des Kurier.

GedICHt

Ich! 
Ich? 
Ich.

Ein perfektes Gedicht an einer Eisenbahn-Stützmauer.
Beschreibt offenbar einen Lebenszyklus.
In der folgenden Form beschreibt es eine andere Geschichte.



Ich? 
Ich! 
Ich.

Montag, 10. Oktober 2011

Bloßfüssig

Auf dem modernen Theater ist es üblich, die klassischen Rollen, die man früher als "jugendliche Naive" bezeichnete, von magersüchtigen Girlies spielen zu lassen, und praktisch immer bloßfüssig, das soll wohl "Natürlichkeit" vermitteln. Dazu sind sie meist behangen mit einem dünnen Fähnchen, die hervortretenden Ecken sind ihre Knochen, selten der Busen.
Dazu kommt noch, daß die meisten dieser Jungstarlets nicht sprechen können; sie haspeln ihren Text so herunter, wie die meisten Jugendlichen heute auch sprechen, verschlucken Silben etc. - eine Art akustischen Twittern, kommt mir vor.
Lernt man an den Schauspielschulen nicht mehr Sprechen oder ist es einfach nicht modern?
Manchmal hat man einfach den Eindruck, daß es andere Qualitäten sind, die diesen Darstellern - weiblich und männlich - zu ihren Rollen verhelfen, jedenfalls nicht künstlerische, sondern möglicherweise erotische, sponsorische, ethnische, politische etc.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Germanophobie

Niemand kann mir Deutschfeindlichkeit nachsagen. Ich habe 3 Jahre dort gelebt, habe immer wieder längere und kürzere Urlaube dort gemacht, darunter auch in der DDR, als es sie noch gab. In meiner aktiven Zeit habe ich sehr gern und gut mit deutschen Firmen bzw. ihren Repräsentanten hier zusammengearbeitet. Was ich aber nicht leiden kann, wie sie sich in den angrenzenden Ländern des Sprachraums ausbreiten, beispielsweise in unseren Theatern und dabei nicht ihre Privat-TV-Slangfärbung ablegen. Das hängt aber auch mit Unterwürfigkeit und mangelndem Selbstbewusstsein der Österreicher zusammen, sonst könnte ein Michael Maertens mit seinen Mätzchen und sprachlichen Unarten hier nicht zum Star geworden sein. Das müsste nämlich nicht sein, denn gerade am Burgtheater kamen und kommen einige der besten Sprecher aus Deutschland (Thimig, Hoffmann, Voss ...). Man müsste es nur von ihnen verlangen, wenn sie es denn nicht von selber tun.
Ich gestehe aber, daß es mich auch nicht freut, wenn ich in der Schweiz zum "Cafecreme & Gipfeli" schnarrende norddeutsche Töne mitgeliefert bekomme. Bei uns stört es mich komischerweise weniger.
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Wie mir die Altvorderen erzählten, muss es '38 beim Anschluss ganz schlimm gewesen sein. Neben den damaligen politisch-moralischen Schweinereien geht ganz unter, wie brutal die "Landnahme" in allen Bereichen des täglichen Lebens vor sich ging, so nach dem Motto:" Jetzt zeigen wir den schlaffen Ostmärkern mal, was eine Harke ist".

Samstag, 8. Oktober 2011

Rotwein

"...Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das ›natürliche Getränk des norddeutschen Menschen‹ genannt hatte. Einer seiner mannigfachen Irrtümer; vielleicht der größte. "
Fontane, Der Stechlin. Er meinte Bismarck.

Alle Macht geht vom Volke aus ?


 Heute morgen drehe ich das Radio auf (ORF) und vernehme:
"Die Rating-Agentur XY hat Belgien und Portugal „ermahnt“.

Man glaubt zu träumen. Da läuft doch irgendwas kolossal schief!

Man braucht keine Verschwörungstheorien zu bemühen, aber es hat wirklich den Anschein, als hätte die Finanzindustrie, deren Instrumente diese Agenturen ja sind, bereits realiter die Weltherrschaft übernommen!
Nicht mehr die Regierungen, immerhin ja von uns gewählt, sondern nichtgewählte, überaus geldmächtige, auf jeden Fall aber anonyme Kräfte bestimmen also über uns.  Durch ihre Sprachrohre lassen sie unverschämt die Politiker beschimpfen, also letztlich uns, das Volk. Kritik an den Politikern steht aber nur den Wählern zu, nicht irgendwelchen "Experten" und Journalisten, die an deren Lippen hängen.

Wir haben also das Vertrauen der "Märkte" verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, sie lösten das Volk auf und suchten sich ein anderes - möchte man mit einem leicht abgewandelten Brecht-Zitat sagen?

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Abmühen


„Alles was wir treiben und tun, ist ein Abmühen; wohl dem, der nicht müde wird“.

(J.W. Goethe)