Freitag, 3. März 2017

Genauso geht es zu

Martin Walser:
"Neulich im Fernsehen, das gewöhnliche Hin und Her zwischen Gegnern und Befürwortern. Der wortführende Gegner war verzeichnet als Publizist und als Atheist. Die Regie holte ihn oft ins Bild, wenn einer der Befürworter sprach. Er bot ein ausdauerndes Schmunzeln. Ein unangreifbares, ein allem überlegenes Schmunzeln. Es war deutlich, der Befürworter hatte keine Chance. Und die Regie und der Moderator waren ganz auf der Seite dieses unantastbaren Schmunzelns. Selbstzufriedenheit strahlte der Publizist aus. Wie kann man bloß noch an Gott glauben! Das strahlte der Publizist und Atheist aus. Und das darumherumsitzende Publikum zeigte durch Beifall, dass es auch dieser Meinung war. Der Moderator machte, wenn er zum Befürworter sprach, ein parodistisches Toleranzgesicht. 
Mir fiel dazu ein: Die Medien sind der Stammtisch der Nation. Zu dem Atheisten fiel mir ein: Er hat keine Ahnung. Wer sagt, es gebe Gott nicht und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Führen wir uns ein Motiv der Religion vor von der Genesis bis ins zwanzigste Jahrhundert. Ein Motiv, das wissen will, ob Gott gerecht sei. Gründe so zu fragen, gab es in der Geschichte Europas genug. 
 Es ist eine eher unglückliche Entwicklung, dass Religion etwas geworden ist, was nicht mehr ohne Kirchliches gedacht wird. Wer sich heute fast instinktiv erhaben fühlt über alles Religiöse, weiß vielleicht nicht, was er verloren hat. Polemisch gesagt: Rechtfertigung ohne Religion wird zur Rechthaberei. Sachlich gesagt: Verarmt zum Rechthaben. 
Augustinus und die anderen, die einen Gott rechtfertigten, der Esau vorgeburtlich hasst und Jakob ebenso vorgeburtlich liebt, die haben damit ihre Welterfahrung ausgedrückt. Sie haben einen realistischen Roman geschrieben. Genau so geht es zu in dieser Welt. Und dass sie ihren Romanhelden Gott freisprechen, heißt nur: auch Gott ist nicht schuld daran, dass es so zugeht in der Welt. Es geht so zu, ohne dass jemand schuld ist. Auch Gott ist nur eine Ausdrucksfunktion des Weltgeschehens. Darin wird mehr ahnbar als sichtbar der Funke der Verbesserungswürdigkeit der Welt. Also der Funke, der Geschichte heißt oder Zukunft oder Utopie. Einfach weil wir, was ist und wie es ist, nicht bewegungslos ertragen. 
Wenn ich von einem Atheisten, und sei es von einem „bekennenden“, höre, dass es Gott nicht gebe, fällt mir ein: Aber er fehlt."


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