Donnerstag, 18. Januar 2018

Hypermoral

Man lese und staune: Diese beiden Artikel erschienen am 13. 1. 2018 im STANDARD, ja, im





Für den Fall, dass die Links nicht mehr gültig sind, hier ein paar Auszüge:
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Philosoph Alexander Grau: "Hier prallen Milieus aufeinander" INTERVIEW WALTER MÜLLER 14. Jänner 2018.
Der Philosoph Alexander Grau ortet in den westlichen Gesellschaften eine neue Lust an der Empörung, kombiniert mit einer meinungsbildenden "Hypermoral". Dies führe zu Vereinfachung, Ideologisierung – und letztlich Intoleranz. Mitunter bedarf es bloß eines Stichwortes, eines Namens, und das Netz fällt in Schnappatmung: #MeToo, Felix Baumgartner, Andreas Gabalier – und schon geht's rund in der Posting- und Twittercommunity. Der deutsche Essayist und Philosoph Alexander Grau ortet etwas Genüssliches an diesem Phänomen der kollektiven Erregung, eine "Neue Lust an der Empörung". Alexander Grau befindet, eine "Hypermoral" habe Platz gegriffen, und dieser "Hypermoralismus" sei zu einer Leitideologie, zum meinungsbildenden Monopol geworden.
 "Alle anderen Erwägungen werden diskreditiert, sogar technische, wissenschaftliche oder ökonomische Probleme werden zu moralischen Fragen umgedeutet." Der moralische Diskurs verfüge über ein "enormes Emotionalisierungspotenzial". Indem er Gefühle mobilisiere, entlaste er zugleich vom Nachdenken. Moralische Normen bildeten "das Wohlfühlbecken, in dem die Seele des modernen Menschen munter planscht". Und dieser grassierende Moralismus trage nicht nur zu einer intellektuellen Vereinfachung, sondern auch zu einer "extremen Ideologisierung" bei.
.....Manche Soziologen gehen davon aus, dass sich unsere westlichen Gesellschaften weiter tribalisieren: also sich zu Stämmen rückorganisieren, wobei diese "Stämme" dann keine Stämme im gewöhnlichen Sinne sind, sondern Milieus, die anhand ökonomischer, kultureller, weltanschaulicher, ästhetischer oder religiöser Merkmale Cluster bilden. Wie friedlich solche tribalisierten Gesellschaften sind, wird erheblich vom Wohlstand abhängen. Unter ökonomischem Druck werden solche Gesellschaften sehr schnell unfriedlich, die Empörungsschraube zieht enorm an. Wohlstand hingegen macht tolerant und liberal. Allerdings steht zu befürchten, dass vor dem Hintergrund der auf uns zukommenden ökonomischen Wandlungsprozesse die soziale Unzufriedenheit steigen wird.  
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Nur Intellektuelle glauben, dass Intellektuelle die Welt verändern.
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Gesellschaften, die traditionellen Moralvorstellungen verpflichtet sind, neigen zu einem Ethos, zu persönlicher Zurücknahme und Entsagung. Die Alltagsmoral war stark bestimmt von einer Haltung des Verzichts. Das darf man nicht verklären. Das war auch Ausdruck des ökonomischen Mangels und einer Klassengesellschaft, in der eben 90 Prozent der Menschen in einer dienenden Funktion waren. Unsere moderne Wohlstandsgesellschaft hat sich von diesem Ideal des Dienens und Verzichtens entfernt. Nicht in der Aufopferung erkennt der Mensch der Moderne seine Erfüllung, sondern in der Selbstverwirklichung. Das idiosynkratische Leben selbst wird zum Ideal und erfordert eine Moral der Offenheit. Niemand darf ausgegrenzt werden, die Selbstverwirklichungsgesellschaft hat alles zu tolerieren. Wer dem widerspricht, hat mit massiven Sanktionen zu rechnen. Ein durchaus autoritärer Zug. 
Noch bis vor wenigen Jahrzehnten bestanden sehr rigide Vorstellungen davon, wie man sich zu benehmen hat. Man nannte das Erziehung. Mit dieser Vorstellung moralischer Sittlichkeit hat die Kulturrevolution der 1960er- und 70er-Jahre aufgeräumt. Traditionelle Moralvorstellungen galten plötzlich als spießige Einengung und Ausdruck autoritärer, emanzipationsfeindlicher Herrschaftsstrukturen. Doch niemand möchte ohne Moral leben. Menschen brauchen eine normative Orientierung. Und die Gewissheit, zu den Guten zu zählen.  Die Moral wurde einfach aus dem Privaten ins Politische entsorgt, damit wurde zugleich das Politische moralisch. Insbesondere im Milieu der progressiven Linksliberalen ersetzte man die traditionelle Sittlichkeit durch einen abstrakten Humanismus, besser: Humanitarismus. Der hat einen erheblichen Vorteil: Seine moralischen Normen haben mit der persönlichen Lebensführung wenig zu tun. Er erlaubt es, hedonistisch und zugleich hoch moralisch zu leben, denn schließlich bin ich für Nachhaltigkeit, gegen Ausbeutung, für soziale Gerechtigkeit und gegen Diskriminierung. Das kostet weder Mut noch persönliche Anstrengungen. Gerade deshalb ist es so reizvoll. 
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Der Terror der TugendboldInnen 
ESSAY CHRISTOPH PRANTNER 14. Jänner 2018
Reflexe statt Gedanken, Borniertheit statt Differenzierung, Infantilität statt Intellektualität: wie gut gemeinte ideologische Patronage den Menschen das Denken und die Freiheit austreiben will............. Die ruhige, unvoreingenommene Diskussion von Sachverhalten, das Denken als Diskurs – beides scheint nicht mehr mehrheitsfähig zu sein. Stattdessen wird in intellektuellen Armenspeisungen mit der großen Kelle ein wohlfeiler "Humanitarismus" ausgegeben, der niemandem wehtut, am wenigsten dessen eifrigen Proponenten selbst. Sich "betroffen" machen, ein ausgeprägter Opfernarzissmus grassiert allenthalben. Denn wer sich selbst "betroffen" macht, stellt die eigene Position außer Zweifel. Dass tatsächliche Opfer dadurch zumindest beschämt werden könnten, ist ein leichtfertig in Kauf genommener Kollateralschaden. Wo verurteilt statt abgewogen wird, darf man eben nicht zimperlich sein. Immerhin dient die sportlich angetragene Selbstgerechtigkeit ja einem durchaus erstrebenswerten Ziel, nämlich der Komplexitätsreduktion in einer weitgehend unüberschaubar gewordenen Welt. Auf den allerkleinsten Nenner gebracht könnte das wohlmeinende Motto dieser moralischen Patronage lauten: Kinderchen, lasst euch doch an der Hand nehmen, wir führen euch unbeschadet durch das finstere Tal des Lebens. Flugs wird die Ideologie Einzelner so zur allgemeinen Moral erklärt. .... Dass in einer solchen Wahrnehmungsmatrix jeder Versuch der Differenzierung zwingend zum moralischen Makel werden muss, steht im kleingedruckten Teil des Lebens, den die eifrigen TugendboldInnen nicht gelesen haben. Und so kommt es, wie es kommen muss: Mit reflexhafter Borniertheit und blindwütigem Furor versuchen sie, den Menschen die Freiheit auszutreiben – die Freiheit, anders zu denken, andere Positionen einzunehmen, und, das ist ein wesentliches Merkmal des Erwachsenwerdens, die Freiheit, Ambivalenzen und Unzulänglichkeiten gegen den Terror der Eindeutigkeit auszuhalten. 
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Ich fürchte nur, dass gerade bei Standard-STANDARD-Lesern das alles verlorene Liebesmüh' ist, weil bei ihnen Selbstkritik zur Selbstaufgabe führt. So bleibt ihnen das verwehrt, was E. Fromm so beschreibt:
„Ein Mensch empfindet zum ersten Mal, daß er eitel ist, daß er Angst hat, daß er hasst, während er in seinem Bewußtsein geglaubt hatte, bescheiden, mutig und liebevoll zu sein. Die neue Einsicht schmerzt ihn vielleicht, aber sie öffnet eine Tür; sie ermöglicht ihm, ein Ende damit zu machen, auf andere das zu projizieren, was er in sich selbst verdrängt.“

Freitag, 12. Januar 2018

Aktivismus

"Früher einmal war Aktivismus mit Optimismus gekoppelt, während heutzutage der Aktivismus einen Pessimismus zur Voraussetzung hat."

Das sagte V. E. Frankl bereits 1946, also nachdem er kaum dem KZ entkommen war.

Donnerstag, 4. Januar 2018

Bücherratschläge


Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.
Hermann Hesse

Es ist sehr einfach, sich von einem Buch nicht beleidigt zu fühlen. Man muss es nur zuklappen.
Salman Rushdie

Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu mei­nem Buchhändler.
Philippe Djian

Wenn ich ein Brechmittel brauche, hole ich es lieber aus der Apotheke als aus der Buchhandlung.
Marie von Ebner-Eschenbach

Plötzliche Regenfälle können zum Be­treten einer Buchhandlung führen. 
Loriot

Sich ein Buch zu leihen ist eine sehr leichte Art, mit einem Mädchen in Ver­bindung zu kommen.
Sören Kierkegaard

Lektüre hat vielleicht den wesentlichen Zweck, freundlich zu isolieren.
Robert Walser

Zu verlangen, dass einer alles, was er je gelesen, behalten haben sollte, ist wie verlangen, dass er alles, was er je geges­sen hat, noch in sich trage. Er hat von die­sem leiblich, von jenem geistig gelebt, und ist dadurch geworden, wie er ist. 
Arthur Schopenhauer


Kollektivschuld

Auf jeden Fall aber dürfte nur derjenige sich das Recht anmaßen, über den andern abzuurteilen und dem andern etwa vorzuwerfen, er hätte dem Druck und dem Zwang eben widerstehen müssen - nur derjenige hätte zu diesen Vorwürfen das Recht, der für seine eigene Person unter Beweis stellen kann, daß er selber es ja so gehalten hat. Nur wer selber lieber ins Konzentrationslager gegangen ist, als daß er dem Druck nachgegeben hätte - eigentlich dürfte nur der über den Nachgiebigen den Stab brechen. Wer nicht in der gleichen Situation war wie der jeweils Inkriminierte, wer z. B. im sichern Ausland gesessen ist, hat es nur allzu leicht, von andern Heldentum oder gar Märtyrertum zu verlangen oder anderen Schwäche und Feigheit vorzuwerfen.
V. E. Frankl

Heute könnte er das nicht mehr sagen, ohne von seinen publizierenden Stammes- und Glaubensgenossen tot  gebissen zu werden.

Botschaft

Ich lese aus diesem Plakat die Botschaft: Wir brauchen euch Autochthone nicht mehr, unsere Zukunft liegt bei den Migranten. - Man wird sehen, ob die Rechnung aufgeht.

Mittwoch, 3. Januar 2018

Mu

Mein Großvater und sein Wort galten in der Familie etwas. Und so suchte ihn mein Onkel kurz nach seinem Abitur auf, in der Hoffnung, von dem klugen Mann eine richtungsweisende Entscheidung für sein Leben zu erhalten. Lang und breit erläuterte mein Onkel meinem Großvater, welche Neigungen und Optionen er für sich sah: «Einerseits könnte ich der väterlichen Linie folgen und Forstwirtschaft studieren, aber andererseits reizt mich das Künstlerische, ich könnte auch Musik studieren etc. pp.» Geduldig hörte mein Großvater zu und antwortete augenzwinkernd: «Forst oder Musik? Lerne Waldhorn!»
Unser Verstand will klare Entscheidungen, konsequent und logisch. Aber die meisten Dinge im Leben sind nicht so eindeutig, so logisch, so konsequent. Und fast nie können wir absehen, was auf lange Sicht aus dem einen oder dem anderen Weg alles werden könnte. Darüber kann man verzweifeln oder lachen! In asiatischen Sprachen gibt es einen Ausdruck für «weder das eine noch das andere» - das «Mu»,
So wird auch der Zen-Schüler bei anscheinend unlösbaren Rätseln mit dem Verstand in die Sackgasse geführt, bis er sich mit einer Lösung auf einer neuen Ebene aus dem Widerspruch befreit. «Wie klingt das Klatschen einer Hand?» Darüber kann man lange grübeln oder sich die eine Hand an die Stirn hauen, dass es nur so klatscht. 

E. v. Hirschhausen

Steht so ähnlich auch bei Watzlawick 
 https://www.marianne-sikor.de/wahl-statt-unterwerfung-oder-rebellion-ein-beispiel-von-paul-watzlawik/

Leib&Seele

Nun, es ist bekannt, daß es nicht zuletzt die sogenannte psychosomatische Medizin war, die sich all dessen angenommen hat, also den innigen Beziehungen zwischen Leiblichem und Seelischem nachgegangen ist. Freilich nicht ohne übers Ziel zu schießen und so zu tun, als ob wirklich jeder Erkrankung, auch leiblicher Art, ein entsprechendes Erlebnis zugrunde liegen müßte. Krank wird nur - dies der Grundsatz der psychosomatischen Medizin: Krank wird nur, wer sich kränkt. Aber das ist nicht wahr. Und wenn man darauf hinweist, daß beispielsweise ein Angina-pectoris-Anfall - manchmal bewußt, manchmal unbewußt - auf eine Aufregung, sagen wir auf eine ängstliche Erregung zurückzuführen ist, so muß ich demgegenüber auf folgendes aufmerksam machen: Nicht nur die ängstliche Erregung ist imstande, einen solchen Herzanfall auszulösen, sondern auch eine freudige Erregung. Und es sind Fälle bekannt, in denen Mütter, als ihre Söhne aus langjähriger Kriegsgefangenschaft heimkehrten, vom Herzschlag getroffen zusammensanken. 

....ein Beispiel: Es gibt Menschen, die an einem eigenartigen Gefühl kranken: alles erscheint ihnen fern, und sie selbst kommen sich fremd vor. Wir Psychiater sprechen dann von einem Entfremdungserlebnis oder einem Depersonalisationssyndrom. Es kommt bei den verschiedensten seelischen Erkrankungen vor, ist aber an und für sich harmlos. Nun konnte ich zeigen, daß dieses psychische Krankheitszeichen in gewissen Fällen auf niedrig dosiertes Nebennierenrindenhormon ausgezeichnet anspricht. Das normale Persönlichkeitsgefühl, das normale Icherlebnis, stellt sich wieder ein. Aber es wäre mir nicht eingefallen, aus alledem den Schluß zu ziehen, daß die Persönlichkeit des Menschen, daß das Ich »nichts als« Nebennierenrindenhormon ist. 

Bei näherem Zusehen ergibt sich nämlich, vor welchem Fehlschluß und Denkfehler wir uns zu hüten haben, wann immer von all diesen leih-seelischen Zusammenhängen die Rede ist: Wir müssen uns angewöhnen, genau zu unterscheiden zwischen Bedingen und Bewirken oder Erzeugen. So ist eine normal funktionierende Schilddrüse oder Nebennierenrinde wohl die Voraussetzung, die Vorbedingung eines normalen menschlichen Seelen- und Geisteslebens, aber damit ist nicht im geringsten ausgemacht, daß das Geistige im Menschen sozusagen erzeugt wird von jenen chemischen Prozessen, auf denen so etwas wie die Hormonproduktion des Organismus beruht. 

 Der Organismus ist nun das Insgesamt von Organen, und das heißt von Werkzeugen, von Instrumenten. Tatsächlich verhält sich das Geistige im Menschen - von dem wir soeben ausgesagt haben, daß es vom Chemismus nicht erzeugt und so denn auch vom Chemismus her nicht geklärt werden kann -, tatsächlich verhält sich dieses Geistige zum Organismus ebenso wie ein Virtuose zu seinem Instrument. Ich meine damit, daß der menschliche Geist, um sich entfalten zu können, eines funktionstüchtigen Organismus als einer Grundbedingung ebenso bedarf wie ein Virtuose eines guten »Instruments«. Er ist angewiesen darauf - ja er ist abhängig von ihm; denn auf einem schlechten Instrument, sagen wir auf einem schlecht gestimmten Klavier, kann der beste Virtuose und der größte Künstler nicht richtig spielen. Was geschieht aber, wenn das Klavier verstimmt ist? Nun, man holt den Klavierstimmer herbei, und der stimmt das Instrument wieder zurecht. Aber nicht nur ein Klavier kann verstimmt sein, sondern auch ein Mensch. Er kann in einen Verstimmungszustand geraten, in einen Depressionszustand verfallen.

V. E. Frankl

Carpe diem

Weil die GEGENWART allein die real erfüllte Zeit ist und unser ganzes wirkliches Dasein in ihr konzentriert und auf sie beschränkt ist, so sollte man sie stets einer heitern Aufnahme würdigen, jede erträgliche und von unmittelbaren Schmerzen freie Gegenwart mit Bewußtsein als solche genießen, d. h. sie nicht trüben durch verdrießliche Gesichter über die verfehlten Hoffnungen der Vergangenheit oder die Sorgen der Zukunft. 

Schopenhauer

buttery

"Julian Huxley hat mit britischem Humor diesen Denkfehler als »Nothing-elsebuttery« verspottet - als «Nichts-anderes-Alserei«, als den Irrtum, etwas, das auf etwas anderes zurückgehe, sei nichts anderes als dieses: Alles Leben ist Chemie, aber nicht: alles Leben ist nichts anderes als Chemie ... "

Franz Kreuzer im Vorwort zu "Die Sinnfrage in der Psychotherapie".

Siehe auch: 
https://kumpfuz.blogspot.co.at/search?q=Psychologismus